Mobbing – ein Thema, das auf den Nägeln brennt


[Till Weidenhammer]

Während sich am 07.10.2014 die Schüler des HSG Eberbach über einen freien Tag freuten, bildeten sich die Lehrer im Rahmen eines Pädagogischen Tages fort, um künftig ein Präventions- und Interventionskonzept gegen Mobbing an der Schule initiieren und durchführen zu können.

Dazu waren viele externe Referenten geladen, die in Vorträgen und Workshops über das Thema informierten und Handlungsweisen sowie Interventionskonzepte vorstellten, die Grundlage einer künftigen Arbeit am HSG sein könnten.

Nach einer Begrüßung durch Schulleiter Helmut Schultz informierten die Diplom-Psychologinnen Frau Helmig und Frau Dietz von der Schulpsychologischen Beratungsstelle über Formen und Auftreten von Mobbing und stellten den No-Blame-Ansatz vor, der lösungsorientiert und offenbar an vielen Schulen sehr erfolgreich über eine Spezialistengruppe Mobbingsituationen aufbrechen kann. An den von den Kollegen als sehr aufschlussreich empfundenen Vortrag schloss sich ein Austausch zu bestimmten Themen an, in dessen Verlauf etwa festgehalten wurde, welche Maßnahmen bereits bestehen, welche Unterstützung (innerhalb und außerhalb der Schule) und Strukturen die Kollegen noch wünschen und benötigen.

Daran wiederum schlossen sich verschiedene Workshops an, die verschiedene Bereiche des Mobbing und Interventionsmöglichkeiten thematisierten. Jeder Lehrer besuchte dabei einen von den Schulpsychologinnen angebotenen Workshop zum No-Blame-Ansatz, der ein zentrales Element des nach dem Pädagogischen Tag zu erarbeitenden Mobbing-Interventionskonzeptes werden kann. Zusätzlich besuchte jeder Lehrer einen weiteren Workshop, den die Schulsozialarbeiter Frau Schulzen und Herr Falkenberg ausrichteten, etwa zum Cybermobbing.

Abschließend wurden die Erfahrungen des Tages zusammengefasst und sehr positiv evaluiert. Die Kollegen fühlen sich nun deutlich besser über Formen und Definition von Mobbing unterrichtet, viele gaben auch an, deutlich an Sicherheit im Umgang mit Mobbing gewonnen zu haben. So steht zu hoffen, dass durch die gesteigerte Sensibilität und Sicherheit in diesem Thema die Arbeit an einem neuen Konzept zur Prävention von und Intervention bei Mobbing befördern wird – eine Arbeitsgruppe dazu hat sich bereits getroffen und erste konkrete Schritte in die Wege geleitet.

Das gewinnbringende und erfreuliche Ergebnis des Pädagogischen Tages, der auch von der Schulentwicklerin Frau Augenthaler-Balg begleitet wurde, lässt darauf hoffen, dass bis zum nächsten Pädagogischen Tag keine acht Jahre mehr vergehen, denn die vielfältigen Anforderungen einer heutigen Schule erfordern geradezu eine solche Fortbildungsmöglichkeit für die Kollegien und eine gemeinsame Arbeit an einem besseren Miteinander und einem sinnvollen pädagogischen Gesamtkonzept.

„Bullying“ – nein, danke!

Ein Insiderbericht vom Pädagogischen Tag

von Marion Oechsner-Hieke

„Mobbing“, englisch „Bullying“, ist ein Thema, das uns als Lehrer im Schulalltag immer wieder beschäftigt, deshalb beschloss unser Kollegium, einen Pädagogischen Tag zu diesem Thema durchzuführen. Ich persönlich kann sagen, dass ich als Lehrerin, insbesondere als Mitglied der Steuerungsgruppe zum Thema Mobbing, aber auch als Mutter sehr von dieser Fortbildung profitiert habe, und will daher im Folgenden einen Überblick über die Erkenntnisse geben, die ich für besonders berichtenswert halte.

In ihrem Einführungsvortrag begann Frau Helmig mit einer Definition von „Mobbing“:

Unter Mobbing versteht man Formen von Gewalt, die regelmäßig (einmal die Woche bis täglich) systematisch, gezielt und planvoll, über einen längeren Zeitraum (mindestens drei Monate) stattfinden und bei denen eine Partei unterlegen ist (Machtgefälle). Der Betroffene kann sich aus dieser Situation nicht ohne fremde Hilfe befreien. Oft findet Mobbing im Verborgenen statt.

Schockiert war ich darüber, dass Mobbing am häufigsten in der Schule stattfindet (80 % auf dem Schulhof, 61% im Klassenraum, 37% auf den Korridoren und Gängen) – also vor unser aller Augen, was nur bedeuten kann: Genau hinsehen! Es ist mir als besonders bemerkenswert in Erinnerung, dass eben nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter mit erheblichen Folgen des Mobbings zu kämpfen haben können: Während die Folgen für das Opfer schnell spürbar werden – Angst, Verlust von Selbstvertrauen, Abfall der schulischen Leistungen, Schlafstörungen, Depressionen -, hat der Täter häufig eher mit den Spätfolgen zu kämpfen – Außenseiterrolle, Abrutschen ins kriminelle Milieu, Depression. Auf Dauer zahlt sich Mobbing eben doch nicht aus – es kann nur ein kurzfristiger Weg sein, Anerkennung in der Gruppe zu erlangen, indem ich einen anderen herabsetze. Es ist einleuchtend, dass dieser Versuch, an Status zu gewinnnen, häufig mit der Zeit zusammenfällt, in der die Jugendlichen sich in einer Identitätskrise befinden: mit der Pubertät. Doch selbst an Grundschulen findet Bullying schon statt.

In dem von mir am Vormittag besuchten Workshop „Mobbing und Kommunikation“ von unserer neuen Schulsozialarbeiterin Ann-Kathrin Schulzen, wurde klar, dass jeder Mensch aufgrund verschiedener Erfahrungen ein anderes Konzept von der Wirklichkeit besitzt: Wenn ich glaube, die Welt ist ein Dschungel, muss ich mir möglichst laut auf die Brust trommeln, um der Chef der Affenbande zu sein. Deshalb kann es helfen, solch einen Schüler, der in seinem Geltungsdrang andere mobbt, darauf hinzuweisen, dass die Schule kein Dschungel ist bzw. sein muss, und ihm andere Sichtweisen aufzuzeigen.

Nachmittags nahm ich an einem Workshop zur No-Blame-Methode teil, der von Frau Dietz geleitet wurde. Hier wurde uns der Ansatz mit einem Rollenspiel nähergebracht. Ich hatte die zweifelhafte Ehre, den Mobber zu spielen, wobei dies auf meiner Rollenkarte, die aus der Rollenperspektive gestaltet war, so nicht deutlich wurde. Da stand nur, dass ich der Chef der Klasse sei und sehr beliebt. Ohne die Bereitschaft von mir und meinem Kumpel, den Gemobbten ab und zu in der Pause mit Fußball spielen zu lassen, wäre der Gemobbte ganz isoliert. Das war ein guter Kunstgriff, durch den mir noch mal eindrücklich vor Augen geführt wurde, wie unterschiedlich die Perspektiven der Betroffenen sein können.

Der No-Blame-Ansatz beruht nun darauf, dass der gemobbte Schüler sich an den Lehrer wendet, um Hilfe zu erhalten. Mit diesem überlegt er dann, welche Schüler ihn am meisten quälen und von wem er sich Unterstützung erhoffen kann. Dabei sollte die Zahl der „Unterstützer“ die der „Akteure“ (Täter) übertreffen. Bei uns Drei zu Zwei. Wir wurden nun so gesetzt, dass die „Akteure“ immer einen „Unterstützer“ zwischen sich hatten, was für mich als Täter sehr unangenehm war. Bei „No Blame“ geht es darum, die guten Ressourcen aller Schüler – auch der Täter – zu aktivieren. Vorkommnisse, die vor dem Treffen stattgefunden haben, bleiben für das Gespräch vor der Tür. Als Gesprächsanlass teilte die Lehrerin ihre Sorge um den betroffenen Schüler mit (sie sagte nicht, dass er sie eingeschaltet hat und dieser war natürlich auch nicht anwesend) und fragte uns nach unseren Ideen, wie wir dem Schüler helfen könnten. Das mag zunächst absurd erscheinen, dass sich ein Täter auf so etwas einlässt. Ich glaube, der Trick ist, die Schüler bei ihrer Ehre zu packen, so wurde jedem von uns erst mal gesagt, warum gerade er zu dem Treffen eingeladen wurde: Ich zum Beispiel, weil ich ja so ein Anführertyp sei, auf den die Klasse auch hören würde. Da fühlte man sich natürlich schon geschmeichelt. Insgesamt kamen wir dann zu ganz guten Vorschlägen, es wurde nur da kritisch, wo ich mich von der Lehrerin unter Druck gesetzt gefühlt habe. Ich bin der Überzeugung, dass das für den Erfolg dieses Konzepts wirklich entscheidend ist: dass der Schüler sich wirklich ernst genommen fühlt und ihm sein Freiraum gelassen wird. (Wobei hier sicher zu berücksichtigen ist, dass es sich eben nicht um die Realität, sondern nur um ein Rollenspiel gehandelt hat.)

Einen „Aha“-Effekt hatten wir in der Gruppe, als eine Kollegin einwandte, es sei ja nicht okay, jemanden nur wegen seiner Klamotten zu mobben, das müsse man doch kommentieren. Worauf Frau Dietz trocken entgegnete: „Wann wäre es denn für Sie okay, jemanden zu mobben?“ Tja, erwischt! Es ist eben nie okay, jemanden zu mobben. Und: Jeder kann in bestimmten Kontexten zu einem Opfer werden. Das muss einem immer bewusst sein.

In der abschließenden Diskussion wurden die Chancen und Grenzen dieses Konzepts angesprochen. Als Chance wurde hier vor allem gesehen, dass allen Schülern eine Chance für einen Neuanfang gegeben wird, was angesichts der oben erwähnten Folgen für Opfer und Täter als zentral erscheint. Alle Schüler können ihre positiven Ressourcen aktivieren. Der oder die Täter, die Mitläufer und – so das Ziel – natürlich am Ende auch das Opfer, wenn es aus seiner Lähmung herauskommt. Lösungsorientierung heißt die Devise. Frau Dietz betonte, dass man dieses Programm nur anwenden kann, wenn man ehrlich überzeugt ist, dass auch in dem Täter positives Potential steckt. Das bedeutet gleichzeitig: Lieber früh eingreifen, um zu verhindern, dass so schlimme Dinge passieren, dass das Konzept nicht mehr anwendbar erscheint. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass der Lehrer als Zeuge einer konkreten Mobbingsituation natürlich sofort eingreifen und Grenzen aufzeigen kann, nur bleibt diese Situation bei dem Gespräch eben draußen vor der Tür. Wichtig erscheint mir auch, dass, wenn das Gruppengespräch und die nachfolgenden Einzelgespräche mit den Unterstützern und den Tätern sowie dem Opfer keinen Erfolg gezeigt haben, der Ansatz als nicht erfolgreich gelten muss und etwas Anderes (zum Beispiel die gängigen Disziplinarmaßnahmen) angewendet werden kann. Die Erfolgsquote sei jedoch 80 Prozent, was hoffnungsfroh stimmt.

Ebenfalls essentiell ist für mich allerdings, die Schüler so zu stärken, dass sie erst gar nicht zu Opfern oder Tätern werden müssen. Die Schule sollte eben kein Dschungel sein!

2014-Päd-Tag1

2014-Päd-Tag2

(Till Weidenhammer)

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