„Knast“ mit Familienanschluss
[Simon Ihrig]
Hohenstaufen-Gymnasium Eberbach Pressemitteilung vom 12-2012
Eberbach (pm). Kurz vor Weihnachten hatten wir 9.Klässler ein schockierendes Erlebnis: Der Praktikant Cristian Hofmann kam in den Gemeinschaftskundeunterricht von Frau Dr. Sellner und erzählte uns, dass er noch vor wenigen Jahren im Jugendknast gewesen sei.
Konnte das stimmen? Doch wie sich bald herausstellte, hatte er als Schüler eine besondere Art des BOGY-Praktikums absolviert. In einer alternativen Form des Jugendstrafvollzugs, die er uns im Zusammenhang mit unserem GK-Thema „Recht“ vorstellen wollte:
Wenn man als Strafgefangener in der JVA (Jugendvollzugsanstalt) sitzt, kann man sich im „Seehaus Leonberg“ bewerben. Dort leben drei bis sechs Jugendliche in einer Wohngemeinschaft. Maximal gibt es 3 WG’s, also 18 Straffällige zusammen mit einer betreuenden Familie (samt Kleinkindern!). Dort lernen sie den sonst unter Umständen nicht vorhandenen Familienalltag kennen. Außerdem machen sie montags bis mittwochs eine Ausbildung auf dem Bau. Beim Arbeiten lernen sie, dass sie selbst etwas schaffen können. Nach der Arbeit bekommt man von den anderen Jungs sogenannte „hilfreiche Hinweise“ in einem geschlossenen Kreis mitgeteilt, z.B. was man falsch gemacht hat, aber man bekommt auch Positives gesagt: Zum Beispiel bekommt man ein Lob, wenn man sich richtig reingehängt hat. So lernen die jungen Männer ihr Verhalten untereinander zu ändern. Donnerstags und freitags haben sie Schule, in der sie ihren Hauptschul- oder Berufsschulabschluss machen. Ein paar Absolventen dieser Anstallt kamen später sogar zu den Firmen Bosch oder sogar zu Porsche. Wenn vorbestrafte Jugendliche eine Ausbildung machen, strengen sie sich nämlich mehr an als andere, denn sie wissen, was in ihrer Akte steht. Jeder Jugendliche im „Seehaus“ bekommt jede Woche eine Wochenbewertung, dort werden Sachen wie Pünktlichkeit, Sozialverhalten, Arbeitsmoral oder das Verhalten beim Sport oder in der Schule bewertet. Durch die Bewertung kann man in verschieden Stufen kommen, je besser die Bewertung, desto besser die Stufe und je höher die Stufe, desto mehr Rechte hat man.
Der Tag ist streng geregelt:
5:40 Uhr : Aufstehen
5:45 Uhr : Frühsport
6:35 Uhr : Zeit der Stille (Kirchenähnlich)
6:50 Uhr : Frühstück
7:15 Uhr : Putzen
Dazwischen Arbeit oder Schule und am Mittag und am Abend eine kurze Pause.
22:00 Uhr : Bettruhe
22:15 Uhr : Licht aus!
Wie man sieht, haben die Jungs wenig Freizeit.
Die Jungs bekommen pro Arbeitstag Gehalt auf ein Konto überwiesen, doch bekommen sie das Geld erst, nachdem sie entlassen wurden. Die selbst geschreinerten Figuren oder Möbel werden verkauft und der Gewinn kommt dem Seehaus zugute
Die Betreuer haben jeden Freitag und jedes 2. Wochenende frei. Währenddessen übernehmen Sozialpädagogen als Vertretung das Heim. Alle Jugendlichen gehen nach Weihnachten zusammen Skifahren, um zu erleben, wie es ist einen Familienurlaub zu machen. Sexualstraftäter, Mörder oder Drogensüchtige werden übrigens nicht im „Seehaus“ aufgenommen.
Die Einrichtung basiert auf Spenden der Kirche, des Landes Baden-Württemberg usw. Es gibt ähnliche Projekte an verschiedenen Stellen in ganz Deutschland.
Die Rückfallquote von jungen Straftätern, die ihre Strafe im „Seehaus“ oder einer vergleichbaren Einrichtung abgeleistet haben, ist deutlich niedriger als die derjenigen, die aus dem herkömmlichen Strafvollzug entlassen werden.
Cristian Hofmann berichtet (Foto: privat)
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